15. Apr 2024
Lesedauer 8 Min.
Tetris ist besiegt
Der echte Kill-Screen
Nach 34 Jahren wurde Tetris durch einen Kill-Screen geschlagen. 157 Level hat es gebraucht, um die Anwendung in die Knie zu zwingen. Der Artikel zeigt, was hinter dieser Leistung steckt.

Die faszinierende Welt von Tetris, einem zeitlosen Klassiker unter den Videospielen, zieht zahllose Spieler in ihren Bann. Viele sind dabei aber gar nicht darauf aus, Block auf Block zu stapeln, sondern sind vielmehr auf der Jagd nach immer neuen Höchstleistungen. Mehr Punkte, längere Spielzeit oder höhere Level stehen auf dem Programm. Auf Level 157 ist eine solche Höchstleistung nun gelungen. Ein Spieler namens Willis Gibson, auch bekannt als Blue Scuti, erreichte im Dezember 2023 den legendären Kill-Screen in Tetris. Dieser seltene und beeindruckende Erfolg markiert einen Meilenstein, der die Grenzen des Spiels und die Fähigkeiten der Spieler herausfordert.
Tetris in der Videospielgeschichte
Tetris ist ein ikonisches Spiel, das einen bedeutenden Platz in der Videospielgeschichte einnimmt. Seine Entstehungsgeschichte und seine Auswirkungen auf die Gaming-Welt sind von großer Bedeutung. Der Ursprung von Tetris liegt in der Sowjetunion, wo der russische Informatiker Alexey Pajitnov das Spiel im Jahr 1984 entwickelte. Mit seinem simplen, aber dennoch fesselnden Gameplay eroberte Tetris schnell die Herzen von Millionen Spielern weltweit.Die Bedeutung von Tetris in der Videospielgeschichte liegt nicht nur in seiner Popularität, sondern auch in seinem Einfluss auf das Puzzle-Genre und die Softwareentwicklung im Allgemeinen. Tetris war eines der ersten Spiele, die eine breite Masse von Spielern ansprachen und über verschiedene Plattformen hinweg erfolgreich waren. Seine einfache Spielmechanik und sein süchtig machendes Gameplay machten es zu einem zeitlosen Klassiker [1].Die Faszination von Tetris liegt auch darin, dass es ein Spiel ist, das Menschen jeden Alters anspricht und sowohl Gelegenheitsspieler als auch Hardcore-Gamer gleichermaßen begeistert. Die Tatsache, dass Tetris bis heute relevant und beliebt ist, zeigt die zeitlose Qualität dieses Spiels und seine anhaltende Bedeutung für die Videospielkultur.Was ist ein Kill-Screen?
Ein Kill-Screen ist ein Phänomen, das auftritt, wenn ein Spieler das Ende eines Spiels erreicht, und zwar bedingt durch technische Beschränkungen oder Programmierfehler und nicht durch den intendierten Abschluss des Spieldesigns. Dieser Begriff wurde insbesondere durch klassische Arcade-Spiele wie „Pac-Man“ und „Donkey Kong“ bekannt, bei denen Spieler auf unüberwindbare Level stoßen, die das Ende ihres Spiels markieren.Die Relevanz des Kill-Screens liegt in seiner Fähigkeit, die Grenzen der frühen Videospieltechnologie aufzuzeigen. In den Anfängen der Spieleentwicklung waren die Ressourcen begrenzt, sowohl in Bezug auf den Speicherplatz als auch auf die Verarbeitungskapazitäten der Hardware. Spieleentwickler mussten mit diesen Einschränkungen arbeiten, was oft zu unbeabsichtigten Konsequenzen wie dem Kill-Screen führte, wenn Spieler weit genug im Spiel vorankamen.Technisch betrachtet resultiert ein Kill-Screen oft aus der Überschreitung von Zählervariablen. Viele ältere Spiele verwendeten 8-Bit-Zähler, die maximal 255 (oder 256, wenn man bei null anfängt) Zustände zählen konnten. Erreichte ein Spieler einen Teil des Spiels, der diesen Wert überstieg, konnte dies zu unerwartetem Verhalten führen, da die Spiellogik nicht mehr wie vorgesehen funktionierte. In manchen Fällen führte dies dazu, dass das Spiel unspielbare Level generierte oderunlogische Gegnerbewegungen aufwies, oder aber es fror komplett ein.Die Erzeugung eines realen Kill-Screens in modernen Spielen ist aufgrund fortgeschrittener Technologien und umfangreicherer Testverfahren selten geworden. Entwickler können heute auf weitreichendere Ressourcen zurückgreifen, und ihnen stehen bessere Tools zur Fehlerbehebung zur Verfügung, was die Wahrscheinlichkeit eines unbeabsichtigten Kill-Screens verringert. Dennoch bleibt der Kill-Screen ein faszinierendes Relikt aus den Anfängen der Videospiele, das Zeugnis ablegt von den kreativen Lösungen, die Entwickler finden mussten, um innerhalb der technischen Beschränkungen ihrer Zeit zu arbeiten [2].Der echte Kill-Screen bei Tetris
Was aber ist das Besondere am sogenannten „echten“ Kill-Screen bei Tetris? Das Attribut spielt auf die technische Definition eines Kill-Screens an. Also einem harten, der Implementierung von Soft- und Hardware geschuldeten Spielstopp. Es gibt auch Kill-Screens, die sich im Nachhinein als gar keine erwiesen haben. So wie das sagenumwobene Level 29 in der NES-8-Bit-Version von Tetris, die im Jahr 1989 erschienen ist. In weltweiten Wettkämpfen haben Spieler dieses Level schnell erreicht und aufgrund der Implementierung von Tetris damit die schnellste Geschwindigkeitsstufe im Spiel. In diesem Level ist es nicht mehr möglich, durch einfaches Nach-links- und Nach-rechts-Lenken des fallenden Blocks diesen präzise zu steuern.Hintergrund ist der Delayed Auto Shift (DAS), eingebaut in Block-Drop-Spiele wie Tetris. Delayed Auto Shift oder Autorepeat bezieht sich auf das Verhalten der meisten Puzzlespiele mit fallenden Blöcken, wenn der Spieler die linke oder rechte Taste gedrückt hält. Das Spiel verschiebt das fallende Teil seitwärts, wartet und verschiebt es dann wiederholt, wenn der Spieler die Taste weiterhin gedrückt hält. Dadurch scheiterten Spieler regelmäßig an dieser spielerischen Grenze, die fortan als Kill-Screen bekannt wurde, da es nach diesem Level offensichtlich nicht mehr weiterging. Angezweifelt wurde diese Begrenzung aber seit jeher. Die Community war sich einig: Es muss auch nach Level 29 weitergehen.Im Jahr 2011 zeigte ein Spieler namens Thor Aakerlund, dass es mit der Hypertapping genannten Technik sehr wohl möglich ist, das Level 30 zu erreichen und damit den Kill-Screen zu überwinden. Beim Hypertapping werden die Finger so auf den Tasten des Controllers vibriert, dass damit eine deutliche schnellere Eingabe möglich ist. Trotz der Tatsache, dass die Technik von Aakerlund schnell zum Standard wurde, stand der Rekord mit Level 30 für weitere sieben Jahre. Erst im Jahr 2018 konnte der Spieler Joseph Saelee das Level 31 erreichen. Nach und nach hat er seinen eigenen Rekord eingestellt, bis zum Level 35 im Jahr 2020. Die wichtige Erkenntnis dabei war, dass es sehr wohl eine Möglichkeit gibt, Blöcke verlässlich zu verschieben, und dass das Spiel aufgrund der Implementierung der Level-Geschwindigkeiten nach Level 29 nicht mehr schneller wird.Ab dem Jahr 2020 gab es eine neue Technik: das sogenannte Rolling. Eingeführt von einem Spieler namens Cheez führte diese Technik in das kompetitive Tetrisspielen ein. Er vibrierte so unter dem Controller, dass damit noch schnellere und präzisere Steuerungen möglich waren. Cheez schaffte damit im Jahr 2021 Level 40. Viele Spieler adaptierten sehr bald diese neue Technik, sodass einer von ihnen mit Namen EricICX im Jahr 2022 Level 95 erreichte.Diese neuen Techniken beim Spielen haben die Hürde der Spielgeschwindigkeit ausgeräumt. Allerdings gab es noch weitere, technische Probleme auf dem Weg zum echten Kill-Screen, ausgelöst durch die 8-Bit-Ära, in der Tetris entstanden ist. Nach dem Level 138 gibt es einen bekannten Glitch, der dazu führt, dass die Farben der Blöcke nicht mehr korrekt vorgegeben, sondern zufällig ausgewählt werden. Der technische Hintergrund ist, dass Tetris im Ursprung mit zehn normalen Farbpaletten für die Blöcke für die Level 0 bis 9 ausgestattet war. Immer wenn zehn Level abgeschlossen wurden, begann das Spiel von vorne in diesen Farbpaletten. Bild 1 zeigt den Aufbau dieser Paletten. Ab Level 138 gab es einen Glitch, sodass die Farben zufällig ausgewählt wurden.
Übersicht der Blockfarben bei steigenden Leveln (Bild 1)
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Das mag sich nach einem kleinen Fehler anhören, hat aber die Auswirkung, dass Blöcke und Hintergrund gleiche oder sehr identische Farben bekommen. Und wenn sich die Blöcke nicht richtig oder gar nicht erkennen lassen, wird Tetris zu einer enormen Herausforderung. Das hat dann viel mit Glück bezogen auf die richtigen Farben zu tun und hat den Prozess beim Fortschreiten der höheren Level ausgebremst. Ein Spieler namens PixelAndy hat es im November 2023 aber geschafft und konnte so Level 148 erreichen.Sicher war sich die Community also, dass es noch viele weitere Level gibt. Sicher waren sich alle aber auch, dass es einen richtigen Kill-Screen geben muss, an dem das Spiel aufgrund von internen Zuständen einfriert.Um diese Zustände herauszufinden, ohne eine schier endlose Anzahl an Tetris-Runden zu spielen, implementierte der Entwickler Greg Cannon einen Tetris-Bot namens StackRabbit. Dieser Bot konnte viele Hürden überwinden und brachte das Spiel bis zu Level 237, bevor Tetris mit einem Crash stehen blieb. Ein echter Kill-Screen war somit bewiesen. Mit Level 255 resettete sich Tetris sogar und fing wieder bei 0 an. Eine Berechnung in einem Google-Sheet [3] des Spielers HydrantDude [4] zeigt, an welchen Stellen unter welchen Voraussetzungen ein echter Kill-Screen in Tetris auftritt.Der technische Hintergrund dafür ist, wie so häufig, ein Byte-Overflow-Fehler. Technisch spannend ist, dass es viele verschiedene dieser Überläufe gibt, die zu einem Crash führen. Das hängt stark vom internen Zustand von Tetris ab. Es gab nicht das eine Level, bei dem ein solcher Crash auftrat, und auch die Benutzerinteraktionen, also platzierte Blöcke und dergleichen, spielen eine Rolle.Genau das, was bis dahin noch niemand geschafft hatte, nämlich das Erreichen eines Kill-Screens durch einen Menschen, gelang dem eingangs schon erwähnten Spieler Blue Scuti am 21. Dezember 2023. Er musste dafür Level 157 erreichen. Sein ursprünglicher Versuch bestand darin, das Spiel auf Level 154 zum Crash zu bringen, in dem der Levelübersprung von 154 zu 155 durch eine einzelne, abgeräumte Zeile getriggert wird. Diese Chance verpasste Scuti aber, indem er drei Zeilen abräumte.Die nächste Chance bestand laut Tabelle darin, in Level 157 bei jeder einzelnen abgeräumten Zeile das Spiel mit einer 73-Prozent-Chance zum Absturz zu bringen. Und genau das ist dem Spieler letztendlich gelungen (siehe Bild 2). Alle vorangegangenen Bemühungen durch Spieler, der Tetris-Bot und die Tabelle mit den Absturzwahrscheinlichkeiten trugen letztlich dazu bei, dass ein Spieler den echten Kill-Screen von Tetris erzeugen konnte.

Der Moment, als Blue Scuti den echten Kill-Screen erzeugte (Bild 2)
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Fazit
Videospiele faszinieren Millionen von Spielern weltweit. Nicht nur als spielerischer Zeitvertreib, sondern auch hochprofessionell in Wettbewerben. Und sei es nur, wie in diesem Beispiel von Tetris, um den menschlichen und den technischen Faktor an die jeweiligen Limits zu bringen. Dass die meisten Spiele, insbesondere älterer Generationen, diese Art Probleme haben, die in einem Kill-Screen resultieren, ist nicht verwunderlich. Die Ressourcen der früheren Konsolen waren limitiert, sodass an jeder Stelle Berechnungen und Speicher gespart wurden.Im Falle von Tetris ist es interessant, dass ein Bot dafür gesorgt hat, auf praktische Art nachzuweisen, dass es echte Kill-Screens gibt und dass der beim Spielen aktuelle Zustand des Spiels maßgeblich für den konkreten Zeitpunkt dieses Kill-Screens verantwortlich ist. Dadurch war klar, dass ein menschlicher Spieler den Zustand herbeirufen kann, ohne lange testen zu müssen.Dass es gelungen ist, Tetris zu besiegen, hat weite Kreise gezogen und wird auch andere Spieler in anderen Spielen und Genres anspornen, Gleiches zu erreichen. Auch Tetris-CEO Maya Rogers hat sich zu der einmaligen Errungenschaft geäußert und dem Spieler Blue Scuti zu seiner Leistung gratuliert.Die Tetris-Community hat mittlerweile bereits neue Pläne, wie beispielsweise das Erreichen des Levels 255, um einen Neustart des Spiels durchzuführen und um, bei den korrekten Voraussetzungen, ein endloses Spiel zu erreichen.Fussnoten
- Interview mit Alexey Pajitnov auf Game Developer, Tetris: Past, Present, Future, http://www.dotnetpro.de/SL2405Tetris1
- Übersicht interessanter Kill-Screens in Videospielen, http://www.dotnetpro.de/SL2405Tetris2
- Google-Sheet von HydrantDude mit den berechneten Wahrscheinlichkeiten eines Absturzes von Tetris, http://www.dotnetpro.de/SL2405Tetris3
- Informationen zum Spieler HydrantDude, https://liquipedia.net/tetris/HydrantDude