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Lesedauer 8 Min.

Der Klischee-Informatiker

Stimmen die Klischees über Softwareentwickler?
© dotnetpro
Als Hardcore-Informatiker und passionierter Softwareentwickler war ich schon immer mit Vorurteilen bezüglich meiner Berufsgruppe konfrontiert. Ich vermute, Ihnen geht es auch so. Außenstehende sehen uns ganz anders als wir uns selbst: Wir sind Nerds, haben wenige Freunde, sitzen nur vor dem Computer und ernähren uns hauptsächlich von Fast Food. Diese Aussagen habe ich schon viel zu oft gehört, als dass ich das noch zählen könnte. Deshalb schauen wir uns in dieser Folge einmal an, was an diesen Klischees alles dran ist. Ich denke, dass dort eine wichtige Nachricht für viele von uns schlummert.

Mein Informatik-Studium

Am besten startet man einen solchen Artikel mit einem Beispiel. Ich habe mein Masterstudium an der Universität in Marburg angetreten, nachdem ich meinen Bachelor an einer Fachhochschule in NRW absolviert hatte. Für meinen ersten Tag im Studium war ich perfekt vorbereitet. Ich hatte einen Schreibblock und ein neues Notebook dabei. Auf meinem Weg vom Bahnhof zur Universität stellte ich aber mit Entsetzen fest, dass ich zwar alles recherchiert, mir aber keine Notizen gemacht hatte, wo im Gebäude die Vorlesung „Theoretische Informatik“ stattfinden würde.Smartphone? Hatte ich damals noch nicht! WLAN? Gab es zwar im Gebäude, aber nur mit Uni-Account, den ich noch nicht hatte. Somit lautete die Devise: Suchen und fragen. ­Also ging ich Stockwerk für Stockwerk das Gebäudes ab. Vor dem ersten Raum saßen viele Studenten mit einem Kleidungsstil, der an Woodstock erinnerte. „Nein Mann, hier ist gleich eine Philo-Vorlesung.“ Eine Etage darunter saßen lauter körperlich sehr fit aussehende Studenten und ich erahnte die Antwort schon: „Ne, wir sind aus dem Sport-Studium.“Und meine Reise ging weiter über Germanistik (Klischee Bücherwurm voll erfüllt) bis hin zur Physik, mit lauter Kopien von Dr. Emmett Brown aus „Zurück in die Zukunft“.Und während ich mich noch über die zutreffenden Klischees amüsierte, wurde ich der männlichen Studenten auf der Heizung eines langen Ganges gewahr. Alle mit viel zu kurzen Hosen, überwiegend Brille und trotz des schönsten Sommers weiß wie eine Wand im Gesicht. Jeder hatte ein Notebook auf dem Schoß, und wo vor den anderen Hörsälen fleißig diskutiert wurde, starrten hier alle nur auf den eigenen Bildschirm.„Informatik?“, fragte ich ernüchtert das erste Bleichgesicht. „Nein, theoretische Informatik!“ Da stand ich also, frisch herausgeputzt für meinen ersten Tag an der Uni, zwischen lauter Kommilitonen, die aussahen, als hätten sie morgens ihr Outfit mithilfe eines Würfels zusammengestellt.An diesem Tag und in der Zeit danach habe ich viel darüber nachgedacht, wie viel an den Klischees über Informatiker dran ist. Irgendwann verblasste die Fragestellung, bis …

Die Informatiker-Ente

Vor einigen Wochen und damit viele Jahre nach meinem Studium sprach ich mal wieder auf einer Konferenz. Bei der Anmeldung wurde ich schon strahlend begrüßt. „Sagen Sie nichts. Sie sind die Informatiker-Ente, richtig?“ Ich verstand den Spaß nicht, nahm mein Namensschild und eine Tüte voll Begrüßungsgadgets und machte mich auf in den Raum für die Sprecher. Vertieft in die Rekapitulation meines bald startenden Vortrags bemerkte ich eine Frau am Tisch, die eine Badeente in der Hand hielt und zwischen mir und der Ente hin und her blickte. Dann lachte sie.Auf meine Frage, was so amüsant an der Ente sei, drehte sie diese um. Es war eine Badeente (Bild 1), ein Werbegeschenk eines deutschen Softwareherstellers, die so ziemlich jedes Klischee eines Informatikers bediente: gewöhnungsbedürftige Frisur mit Seitenscheitel, dicke schwarze Brille und dazu ­einen Laptop sowie ein Smartphone in der Hand.
Der Denkanstoß:eine Badeente in Informatiker-Outfit(Bild 1) © Autor
Der Grund für ihr Amüsement war aber, dass die Frisur auf frappierende Weise meiner eigenen ähnelte, die Brille eine kleine Kopie meiner war und wir auch in der Farbe des T-Shirts einander glichen. Und während ich die Übereinstimmungen langsam realisierte, hielt ich in der einen Hand mein Smartphone und mein Laptop stand direkt vor mir. Was für eine Frechheit! Eine David-Ente! Zugegeben: Ich habe lange nicht mehr so viel gelacht, wie in dieser Situation.Auch wenn ich mich bis dato nicht als Klischee-Informatiker gesehen hatte, zeigte diese Ente doch ein anderes Bild. Auf der Heimfahrt habe ich – ähnlich wie damals – wieder lange über Klischees nachgedacht, welche das sind und ob sie eventuell sogar berechtigt sind. Was auf der einen Seite durchaus zum Lachen ist, sollte uns aber auf der anderen Seite vielleicht auch eine Warnung sein.

Die Klischees

Angeregt durch das erneute Klischee­erlebnis habe ich nicht nur Google bemüht, sondern auch zahlreiche Artikel gelesen und mein Umfeld befragt. Erschreckend eindeutig waren die Antworten. Der typische Informatiker verkörpert viele der folgenden Eigenschaften: wenig soziale Kompetenz und Fähigkeiten, oft Brillen- beziehungsweise Kontaktlinsenträger, wenig Inte­resse an Mode oder Stil, eher introvertiert, vernachlässigt soziale Kontakte und Gesundheit, bevorzugt Fast Food und Energy Drinks, wenig bis gar keine Hobbys.Leider muss ich für mich selbst erkennen, dass 80 Prozent der Punkte auf mich zutreffen. Um auch mal das Stimmungsbild der restlichen Informatiker-Kollegen abzuklopfen, habe ich auf meinem YouTube-Kanal mit den oben genannten Punkten eine Umfrage [1] durchgeführt. Dabei mussten alle 360 Teilnehmer beantworten, wie viele der Punkte auf sie zutreffen. Knapp 60 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass mindestens die Hälfte der Punkte sie charakterisierte. Trotz meiner Erfahrung bei der Hörsaalsuche in Marburg hat mich das doch irgendwie überrascht.

Ich bin halt ein Nerd

Mir ist natürlich klar, dass nicht alle so sind. Mir ist auch bewusst, dass sich viele von Ihnen in keinem der Punkte wiederfinden. Aber einigen wird das Durchlesen der Punkte bestimmt ein Grinsen in ihr Gesicht gezaubert haben.Wir sind schon oft so, wie man es uns nachsagt. Ich durfte in meinem Leben schon weit über 10 000 Softwareentwickler bei Kundenprojekten, Trainings oder Konferenzvorträgen kennenlernen. Von daher kann ich nur beipflichten: Ja, da ist schon eine ganze Menge dran.Doch so sind wir eben. Was andere als Schimpfwort auffassen, ist für mich eine Auszeichnung: Der Nerd ist eine Bezeichnung für an Spezialinteressen hängende Menschen [2]. Ich interessiere mich, seit ich denken kann, für Informatik, später ganz besonders für die Softwareentwicklung. Das ist für mich nicht nur ein Beruf, sondern ein Hobby, gar eine Passion. Die damit assoziierten Klischees stimmen bei mir sogar weitestgehend: Ich trage eine Brille, bewege mich modisch eher im Mittelmaß, bin regelrecht süchtig nach Fast Food und habe – außer dem Angeln – keinerlei weitere Hobbys, allein schon aus Gründen des Zeitmangels.

Der Grund

Wie bin ich zu dem geworden, der ich heute bin? Während in jungen Jahren alle meine Freunde und Klassenkameraden in Sportvereinen tätig waren, habe ich meine Zeit mit Programmieren verbracht – natürlich allein. Während meine Freunde am Wochenende Partys besuchten, habe ich Zeit und Geld für die Weiterbildung genutzt. Da das Internet noch nicht so verbreitet war, habe ich jedes Wochenende ein oder mehrere Bücher durchgelesen und entsprechend am PC nachgestellt.Mit Anfang 20 war ich bereits ein ausgezeichneter Softwareentwickler, mit Mitte 20 während meines Studiums dann sogar als Student Partner bei Microsoft tätig. Während sich meine Freunde in dieser Zeit nicht zu IT-Fachexperten fortgebildet haben, hatten sie aber einen entscheidenden Vorteil: Ihre sozialen Kompetenzen und sozialen Fähigkeiten waren meinen weit überlegen. Auch beim durch die Partys stärker ausgebildeten Verständnis für Mode hatte ich das Nachsehen. Dafür hatte ich in dieser Zeit sehr gut erlernt, allein meine Ziele zu erreichen. Ich war zum Einzelkämpfer geworden.Ich war nicht übergewichtig, aber mangels Sports und Motivation durch einen Sportverein gab es da eine Menge Luft nach oben. Man könnte bezogen auf die angesprochenen Vorurteile meine Wenigkeit getrost als Vollnerd bezeichnen.Meine Vorgesetzten bei Microsoft haben genau diese Defizite erkannt und mich dankenswerterweise mit Weiterbildungen im Bereich Softskills weitestgehend wieder gesellschaftsfähig gemacht.

Die Gefahr

Wenn ich heute auf den Vollnerd David schaue, muss ich noch immer feststellen, dass ich sehr vielen Klischees entspreche. Auf einige bin ich sehr stolz, mit einigen kann ich leben, andere wiederum bereiten mir Sorgen. Meine persönliche Begründung trifft in dem ein oder anderen Punkt vielleicht auch auf Sie zu.Wie schon gesagt, sehe ich das zum großen Teil nicht als Problem – vielleicht sind auch Sie stolz auf den ein oder anderen Punkt. Was die Nichtinformatiker über mich denken, ist mir vollkommen egal, aber wir sollten uns auch mal hinterfragen: Warum werden uns so viele der negativen Punkte angedichtet? Ist es okay, wenig soziale Kompetenz und sozia­le Fähigkeiten zu haben? Oder sollte man eventuell mit dem ein oder anderen Softskill-Training mal nachhelfen? Sollten wir immer im Hoody mit zu kurzen Hosen rumlaufen oder nicht einfach mal modisch das ein oder andere Wagnis eingehen? Verbringen wir vielleicht doch zu viel Zeit am PC, die wir nicht in Freundschaften oder Hobbys stecken können?Ich für meinen Teil habe da seit der besagten Konferenz in Nürnberg sehr viel drüber nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich mit mir ganz zufrieden bin. Aber ich möchte gerne in Zukunft mehr Zeit mit anderen Dingen verbringen, möchte mehr auf meinen Körper und meine Gesundheit achten. Genau zu dieser Erkenntnis hat mich eine kleine unscheinbare Klischee-Informatiker-Ente gebracht.Würde ich heute noch mal alles genau so machen wie damals? Absolut! Sollte ich trotzdem jetzt etwas ändern? Absolut! Vielleicht hilft mir die Geschichte in einigen Punkten, in Zukunft weniger wie die Ente zu sein. Vielleicht dient es auch Ihnen als Anregung. Viel Spaß und vor allem Erfolg dabei!

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